Normalerweise sind sie der „12. Mann“, das schlagende Herz hinter der Mannschaft. Doch in dieser Woche muss der VfB Stuttgart ohne die rot-weiße Woge der Unterstützung auskommen, die ihn sonst so oft nach vorne treibt. Beim Auswärtsspiel in der Europa-League-Gruppenphase bleiben die für Gästefans vorgesehenen Ränge leer. Fangruppen und Ultras haben einen kollektiven Boykott angekündigt – aus Protest gegen überhöhte Ticketpreise, schwierige Reisebedingungen und, wie sie es nennen, „mangelnden Respekt“ gegenüber den treuesten Anhängern.
Die Entscheidung trifft den Verein hart. In den vergangenen Jahren gehörte der VfB-Auswärtsblock zu den lautesten und sichtbarsten in ganz Deutschland. Ob in Hamburg, München oder bei internationalen Spielen – Stuttgarts Reisefans verwandelten fast jedes Stadion in ein rot-weißes Fest. Doch diesmal hätten die Kosten für jeden Fan über 300 Euro für ein einziges Spiel betragen – noch ohne Unterkunft oder weitere Ausgaben. Mit einer kurzfristigen Bekanntgabe der Ticketvergabe und eingeschränkten Reisemöglichkeiten sahen die Fangruppen keine andere Möglichkeit, als ein Zeichen zu setzen.
„Wir lieben unseren Verein, aber irgendwo muss Schluss sein“, erklärte ein Sprecher einer führenden Ultra-Gruppierung. „Fußball gehört den Menschen auf den Rängen – nicht nur den Fernsehkameras und Sponsoren. Wenn Europapokalauswärtsfahrten zum Luxusprodukt werden, sind viele von uns ausgeschlossen. Dafür stehen wir nicht.“
Damit erwartet die Stuttgarter Spieler eine ungewohnte Atmosphäre: ein Europapokalspiel ohne den typischen „12. Mann“. Cheftrainer Sebastian Hoeneß räumte ein, dass die Unterstützung fehlen werde, betonte jedoch, dass dies auch ein Ansporn sei. „Unsere Fans sind immer unser Rückgrat. Wir verstehen ihre Frustration und respektieren ihre Entscheidung. Jetzt liegt es an uns, eine Leistung zu zeigen, auf die sie zu Hause stolz sein können.“
Auch die Vereinsführung äußerte sich vorsichtig kritisch. Zwar wolle man UEFA und Ausrichter nicht direkt angreifen, doch Sportdirektor Fabian Wohlgemuth machte deutlich, dass die Problematik ein generelles Thema im europäischen Fußball sei. Steigende Reisekosten, höhere Eintrittspreise und immer komplexere Auflagen hätten in den letzten Jahren schon mehrfach zu Boykotten deutscher Fangruppen geführt.
In Stuttgart selbst bereiten sich derweil viele Kneipen und Fanclubs auf gemeinsames Public Viewing vor. Tausende Anhänger werden in der Innenstadt erwartet, wo sie Fahnen schwenken und singen wollen – so, als wären sie im Stadion dabei.
Für den VfB Stuttgart wird das Spiel im Ausland ein Test der Widerstandskraft. Für den europäischen Fußball aber ist der Boykott eine Mahnung: Ohne Fans verliert das Spektakel einen Teil seiner Seele.