Es gibt Momente im Fußball, in denen die Größen von gestern Wahrheiten aussprechen, die viele nur flüstern, aber kaum jemand laut sagt. In der jüngsten Ausgabe von „Triple – der Hagedorn Fußballtalk“ nahm Oliver Kahn, Torwartlegende und ehemaliger Vorstandschef des FC Bayern München, kein Blatt vor den Mund, als es um Leroy Sané ging. Seine Analyse war scharf, unsentimental – und dennoch von einer Art harter Zuneigung getragen.
„Ich komme heute nicht, ich komme morgen – das ist einfach sein Charakter, oft auch mit seiner ganzen Körpersprache“, erklärte Kahn mit seiner bekannten Offenheit. In diesem Satz steckt sowohl das Versprechen als auch die Frustration von Sanés bisheriger Laufbahn: ein Fußballer mit außergewöhnlicher Technik, Tempo und Kreativität, der jedoch zu oft den Eindruck hinterlässt, mit angezogener Handbremse zu spielen.
Kahn, der selbst für gnadenlose Disziplin und einen unbändigen Willen stand, der bisweilen sogar die eigenen Mitspieler einschüchterte, ging noch weiter: „Beim FC Bayern brauchst du absoluten Hunger, absoluten Willen. Talent allein reicht nie. Wir haben schon zu viele Spieler gesehen, die an der Weggabelung ihrer Karriere standen und sich verloren haben, weil sie diesen Killerinstinkt nicht entwickelt haben.“
Für Kahn verkörpert Sané zugleich die Brillanz und das Dilemma des modernen Fußballs. Der Flügelspieler hat immer wieder Weltklasse-Momente gezeigt – spektakuläre Dribblings, spielentscheidende Tore, die Fähigkeit, ein Match im Alleingang zu kippen. Und doch bleibt die Konstanz sein größter Gegner. „Bei Bayern kannst du nicht den Schalter nach Belieben umlegen. Du musst alle drei Tage liefern – oder der Verein geht ohne dich weiter“, mahnte Kahn.
Hinter seiner Kritik stand jedoch auch die Anerkennung für den eingeschlagenen Weg des Rekordmeisters. Der Klub setzt zunehmend auf Mentalität ebenso wie auf Technik. Spieler wie Thomas Müller, Joshua Kimmich oder Jamal Musiala verkörpern diesen maximalen Einsatz. Laut Kahn ist es kein Zufall, dass Bayern versucht, Sané mit solchen Charakteren zu umgeben. „Sie wollen ihn pushen, ihm zeigen, was es heißt, für diesen Klub, für dieses Trikot zu leben“, sagte er.
Die bittere Wahrheit: Sané steht nun an einem entscheidenden Punkt. Mit 29 Jahren ist er längst nicht mehr das „Supertalent“ mit unendlicher Zeit. Der Scheideweg ist da: Entweder er nimmt die Bayern-Mentalität endgültig an – oder er läuft Gefahr, als unerfülltes Genie in Erinnerung zu bleiben.
Kahns Fazit fiel hart, aber mit dem Gewicht der Erfahrung: „Dieses Fenster bleibt nicht ewig offen. Irgendwann geht es zu – und dann zählt Talent nichts mehr.“
Für Leroy Sané ist die Botschaft eindeutig. Der Titan hat gerechnet – und die Uhr tickt.