Vom Hype zu harten Zeiten: Hamann kritisiert Jobe Bellinghams Start bei Dortmund. Schafft er das Comeback wie sein Bruder?
Als Jobe Bellingham im Sommer 2024 zu Borussia Dortmund wechselte, war die Aufregung groß. Nicht nur, weil sein älterer Bruder Jude Bellingham in Dortmund einst zum Weltstar reifte, sondern auch, weil die Erwartungen an das junge Talent enorm waren. Viele sahen in Jobe den nächsten Shootingstar der Bundesliga – ein Bellingham 2.0. Doch nach einigen Monaten im schwarz-gelben Trikot ist von diesem Hype wenig übrig. Die Leistungen des jungen Engländers sind bislang eher ernüchternd. Fußball-Experte Dietmar Hamann hat nun klare Worte gefunden – und bringt eine Diskussion ins Rollen: War der Wechsel nach Dortmund für Jobe Bellingham zu früh?
Der Schatten des großen Bruders
Der Name „Bellingham“ ist in Dortmund mit einer Erfolgsgeschichte verbunden. Jude Bellingham kam 2020 als 17-Jähriger vom englischen Klub Birmingham City zum BVB und entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem der besten Mittelfeldspieler Europas. Seine Energie, Technik und Spielintelligenz begeisterten Fans und Experten gleichermaßen. Heute ist Jude eine feste Größe bei Real Madrid – und sogar Kandidat für den Ballon d’Or.
Jobe, zwei Jahre jünger als sein Bruder, trat mit einem ähnlichen Werdegang in Dortmunds Fußstapfen. Auch er kam von Birmingham City, auch er gilt als technisch stark und vielseitig. Doch während Jude bei seinem Debüt sofort Akzente setzen konnte, tut sich Jobe schwer. In den ersten Spielen der Saison 2024/25 blieb er blass, oft ohne große Beteiligung am Spielgeschehen. Das Tempo der Bundesliga scheint ihn noch zu überfordern.
Hamanns Kritik – zu hart oder berechtigt?
Dietmar Hamann, ehemaliger Nationalspieler und heute TV-Experte, nahm in einem Interview kein Blatt vor den Mund: „Bei allem Respekt – Jobe Bellingham wirkt derzeit wie ein Fremdkörper im Dortmunder Spiel. Er ist jung, ja, aber Bundesliga ist kein Experimentierfeld. Dortmund muss liefern.“
Diese Kritik mag hart klingen, trifft aber einen wunden Punkt. Die Borussia ist bekannt dafür, jungen Talenten Chancen zu geben – doch zugleich steht der Klub unter permanentem Erfolgsdruck. In einer Mannschaft, die um die Champions-League-Plätze kämpft, ist wenig Raum für lange Anpassungsphasen. Jobe wirkt bisher nicht wie jemand, der das Spiel an sich reißen kann – eher wie jemand, der noch seine Rolle sucht.
Hamann weiter: „Vielleicht wäre ein Zwischenschritt sinnvoll gewesen – ein Jahr bei einem kleineren Klub, bevor man zu einem Topverein wie dem BVB geht. Der Name allein reicht nicht, man muss auch liefern.“
Zwischen Talent und Realität
Dass Jobe Bellingham Talent besitzt, steht außer Frage. In der Championship zeigte er gute Ansätze – körperlich robust, technisch sauber, mit einem guten Auge für Räume. Doch die Bundesliga ist ein anderes Kaliber. Dort zählen nicht nur Anlagen, sondern auch Spielverständnis, mentale Stärke und Anpassungsfähigkeit.
Besonders auffällig ist, dass Jobe oft zwischen den Positionen pendelt. Während sein Bruder Jude im zentralen Mittelfeld fast wie ein Motor agierte, wird Jobe mal offensiv, mal auf der Acht oder sogar auf dem Flügel eingesetzt. Das erschwert nicht nur seine Entwicklung, sondern deutet auch darauf hin, dass der Trainerstab noch nicht genau weiß, wo er Bellingham II am besten einsetzen soll.
Kann er das Comeback schaffen?
Die Frage, die sich nun stellt: Kann Jobe Bellingham sich aus diesem Formtief befreien und einen ähnlichen Aufstieg hinlegen wie sein Bruder? Die Antwort ist ein vorsichtiges „Ja“ – aber unter bestimmten Voraussetzungen.
Erstens braucht er Spielzeit, aber in einem Umfeld, das weniger von Druck geprägt ist. Vielleicht wäre eine Leihe zu einem mittelklassigen Bundesliga-Klub oder sogar ins Ausland sinnvoll – um Selbstvertrauen zu tanken und ohne den ständigen Vergleich mit Jude aufzublühen.
Zweitens muss er sich mental stärken. Die Situation, ständig mit seinem erfolgreichen Bruder verglichen zu werden, ist eine enorme Belastung. Nur wenn Jobe seinen eigenen Weg findet und akzeptiert, dass er nicht Jude ist – sondern Jobe –, kann er wachsen.
Drittens ist auch der Trainerstab gefordert. Junge Spieler brauchen klare Strukturen und Vertrauen. Ein konkreter Entwicklungsplan, eine feste Position und regelmäßige Gespräche können helfen, das Potenzial zu entfalten.
Die Fans – zwischen Geduld und Erwartung
Die Dortmunder Fans sind bekannt für ihre Leidenschaft, aber auch für hohe Erwartungen. Nach Jahren der Talentschmiede (Sancho, Haaland, Bellingham) erwarten viele den nächsten Durchbruch. Doch bei Jobe scheint die Geduld langsam zu bröckeln. In den sozialen Medien wird bereits über einen Fehleinkauf spekuliert.
Dabei vergessen viele: Auch Jude Bellingham hatte Anlaufzeit gebraucht. Zwar beeindruckte er früh, aber auch er hatte schwächere Phasen. Der Unterschied: Jude war in einem Team mit klaren Strukturen und weniger Druck als heute. Jobe hingegen kommt in eine Phase, in der Dortmund nach einem Neustart sucht und keine Zeit für Experimente zu haben scheint.
Fazit: Noch ist nichts verloren
Jobe Bellingham steht am Scheideweg. Der Hype um seine Person hat sich gelegt, die Realität der Bundesliga ist hart. Doch mit der richtigen Unterstützung, einer ehrlichen Selbstreflexion und möglicherweise einem taktischen Schritt zurück, kann auch er den Durchbruch schaffen. Der Name Bellingham verpflichtet – aber er sollte nicht erdrücken. Denn der Weg nach oben ist selten gerade – und manchmal führt er über Umwege. Das Comeback ist möglich. Die Frage ist nur: Gibt man ihm die Zeit und den Raum, den er braucht?
